100 Jahre Kritische Theorie: Reflexionen zur Ideologiekritik im Moment ihres Zerfalls

Vortragsreihe in Bonn zum Verhältnis von Bürger und Staat in der „neuen Normalität“ staatlicher Entgrenzung und subjektiver Enthemmung nach dem Übergang von der verwalteten zur betreuten Welt

Wissenschaft als Ritual dispensiert vom Denken und von der Freiheit.

Theodor W. Adorno[1]

Der bereits lange sich abzeichnende Umschlag von der »verwalteten Welt« (Adorno) spätbürgerlicher Vergesellschaftung in eine betreute Welt der wahlweise zu Patienten oder Erziehungsbedürftigen regredierten Subjekte hat kaum irgendwo so deutlich sich offenbart und in konkrete politische Maßnahmen übersetzt, wie in der gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Reaktion auf die zur Pandemie und damit zur globalen Bedrohung der Menschheit aufgenordeten Atemwegserkrankung Covid-19. Vormals noch einigermaßen funktionierende Gesellschaften verwandelten sich innerhalb kürzester Zeit in geschlossene Sanatorien, deren hypochondrische und mittels gezielter Panikproduktion vollends neurotisierte Insassen jede damit einhergehende Einschränkung ihrer Freiheitsrechte stets sogar noch als zu mangelhaft reklamierten. In der Folge hat sich ein Konglomerat aus paternalistischen Sozialtechniken und volkspädagogischer Aktivierung endgültig als ‘neue Normalität’ politischen Handelns und permanenten zivilgesellschaftlichen Engagements herausgebildet. 

Das von Adorno in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts diagnostizierte Primat der Administration hat sich dabei in den letzten Jahren verstärkt in eine auf mystischer Verklärung der Wissenschaft aufruhenden Technokratie transformiert. Also der Herrschaft vermeintlicher Experten, deren Meinungen oder Modellierungen zunehmend als unhintergehbare Handlungsmaxime gesetzt werden und damit sukzessive jeden vormaligen politischen Aushandlungsprozess der immer auch miteinander in Konkurrenz stehenden Interessen der Bürger ersetzen. Insbesondere hierzulande ging dieser Prozess mit einer gleichsam immer infantiler sich artikulierenden wie moralistisch aufgeladenen Diskussionskultur einher, getragen von einem weiten Spektrum an staatlich alimentierten zivilgesellschaftlichen Netzwerken, Projektinitiativen und Stiftungen. 

Infolgedessen der Staat seine »Aufgaben großzügig an gesellschaftliche Vorfeldorganisationen delegiert, in denen das Subjekt zu „eigenverantwortlicher“ moralischer Selbst- und Fremdkontrolle abgerichtet wird«[2], werden die nunmehr nachbürgerlichen Subjekte für eine ihren rationalen und ökonomischen Interessen objektiv zuwiderlaufende politische Praxis nicht einfach nur gefügig gemacht. Jeder Einzelne soll darüber hinaus aktiv in Dienst genommen werden, sein ursprünglich grundgesetzlich verbrieftes Abwehrrecht gegen den Staat nur noch in solcher Form wahrzunehmen, die mit den ‘woken’ Ideologemen des ‘progressiven’ Establishments und den Imperativen eines postmodernen Kapitalismus kompatibel ist. Damit erweist sich die bundesdeutsche Gesellschaft weiterhin als grundlegend postnazistisch konstituierter Abkömmling der ‘Volksgemeinschaft’.[3] Die Kehrseite all dessen bildet so denn auch eine generelle Feinderklärung all jenen gegenüber, die sich dieser permanenten Mobilmachung verweigern. Als wahlweise egoistisch, rückständig, klimaschädlich, querdenkend, staatsdelegitimierend oder ganz einfach ‚rechts‘ wird denunziert, wer nicht mittun will bei solidarischer Zwangsimpfung, identitätspolitischer Sprachverhunzung oder beim Frieren für Freiheit und Klima.

Welche tragende Rolle für die skizzierte Entwicklung spielen die als »staatsparteigewordene Bürgerinitiative«[4] agierenden Grünen, insbesondere unter sprachkritischer Berücksichtigung ihrer gefühls- und befindlichkeitszentrierten Infantilisierung politischer Kommunikation? Welche Konsequenzen hat die vollständige begriffliche Verkehrung von Freiheit und Zwang, von Befreiung und Unterwerfung seit März 2020, in deren Zuge unter Freiheit kaum noch mehr als die Lockerung repressiver staatlicher Willkürmaßnahmen verstanden wurde, für das gegenwärtige und künftige Verhältnis von Bürger und Staat? Und was hätte dieser Übergang von der postnazistisch-spätbürgerlichen in eine postmodern-prätotalitäre Epoche für eine kritische Theorie der Gesellschaft zu bedeuten, vor allem mit Blick auf das kollektive Versagen all jener Intellektuellen, Institutionen und politischen Strömungen, die sich 100 Jahre nach ihrer Begründung als Epigonen und Nachlassverwalter der Kritischen Theorie wähnen?

Diesen und weiteren Fragestellungen wollen wir in den kommenden Wochen in einer Vortragsreihe nachgehen.

Gruppe KB

[1] Theodor W. Adorno: Philosophie und Lehrer, in: Eingriffe. Neun kritische Modelle, 1963
[2] Clemens Nachtmann: Die demokratisierte Volksgemeinschaft als Karneval der Kulturen. Von der Verallgemeinerung des Postnazismus und dem Altern der antideutschen Kritik. In: Stephan Grigat (Hg.): Postnazismus revisited. Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert, 2012
[3] Vgl. Clemens Nachtmann: Nationalsozialismus und Postfaschismus, 1994
[4] David Schneider: Mehr Technokratie wagen. Der Sehnsuchtsort fortschrittlicher Nachhaltigkeitsfans heißt China, in: Bahamas Nr. 84, Frühjahr 2020 (online abrufbar unter: https://redaktion-bahamas.org/hefte/84/Mehr-Technokratie-wagen.html)



Veranstaltungsprogramm

Vortrag 1

Sonntag, den 07.05.23, um 17 Uhr in der Musikkneipe Session, Gerhard-von-Are-Straße 4 in Bonn

Vortrag & Diskussion mit Magnus Klaue (Leipzig)

Totalitärer Infantilismus. Vom Verwaltungsdeutsch zum Babysprech und zurück

Daß sich das Verhältnis zwischen den Staatsbürgern (in ihrer notwendig widersprüchlichen Konstitution als Bourgeois und Citoyens) und dem Staat in Deutschland seit der „Corona-Krise“ umstürzend verändert hat, läßt sich an der Sprache ablesen, mit der nicht nur das politische Personal die Bürger anspricht, die es repräsentieren soll, sondern auch die Bürger selber miteinander reden. Schon unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat sich angedeutet, daß die „leichte Sprache“, die ursprünglich als Kommunikationsmittel zur Inklusion von Leuten ersonnen wurde, die die Zivilgesellschaft als „Andersbegabte“ verunglimpft, sich von ihrem pädagogischen Zweck gelöst hat. Brotdoof klingende Bezeichnungen für neue Gesetzesvorhaben wie „Gute-Kita-Gesetz“ und „Starke-Familien-Gesetz“, die das als umständlich und herzenskalt empfundene Verwaltungsdeutsch vergangener Jahrzehnte verdrängt haben, setzen die Bürgerschaft, bei der Politiker angestellt sind, ihrer bloßen Form nach als Idiotenkollektiv: Während das in der alten Bundesrepublik herangereifte und bis in die neunziger Jahre in der neuen Bundesrepublik maßgebliche Bürokratendeutsch sich gegenüber den Bürgern, deren Verwaltung es besorgte, in einer Art sachlichen Hermetik abschloß, wendet sich die neue administrative Babysprache an ihre Adressaten als per se Unmündige, um die man sich bestenfalls kümmert wie um Insassen eines Kinder- oder Seniorenheims, die aber nicht als selbstmächtige Individuen in den Blick kommen, zumal zurecht angenommen wird, daß sie sich meistens selbst nicht mehr als solche begreifen. An die Stelle der Verwaltung tritt eine auf willkürlichen Gunstbeweisen und Gunstentzügen beruhende Fürsorge, die hinter die Anfänge des Wohlfahrtsstaats im 19. Jahrhundert weit zurückfällt: Der Staat, von dem selbst Ideologiekritiker kaum einen Begriff mehr haben, figurierte entsprechend seit März 2020 als volksgemeinschaftliche Heimleitung, die bei jeglichem Widerspruch gegen die verordnete Selbstentmündigung, jeglicher Skepsis oder auch nur Nachfrage, mit Hausarrest und Entzug der Sozialkontakte drohte. Als Belohnung gab es wie einst beim dressierten Esel Zuckerstückchen: Wer sich spritzen oder testen läßt, darf mit seinen „Primärkontakten‘ essen gehen, die Familie besuchen (deren Mitglieder wieder „die Liebsten“ heißen) oder mit Mundschutz und 2-Meter-Abstand durch eine Ausstellung latschen, die genauso langweilig ist wie das Homeoffice. Wer Impfpaß oder Testergebnis fälscht, dem droht der Eintrag ins Klassenbuch wie in bürgerlichen Zeiten dem Schüler nach einer gefälschten Unterschrift.

Das Infantilendeutsch, das seither ausgehend vom eben dadurch nicht mehr bürgerlichen Staat, affirmiert und gestützt von weiten Teilen der Bevölkerung, die Erosion der Gesellschaft als kollektive Geistesschredderung praktisch werden läßt, lebt „nach Corona“ weiter. Der Vortrag wird die Genese des Umschlags von Verwaltung und Betreuung am Leitfaden der Sprache nachzeichnen und deutlich machen, daß die Infantilisierung mit dem Durchmarsch bei der Durchsetzung staatlicher Eingriffsrechte in die Privat- und Intimssphäre nicht im Widerspruch steht, sondern deren Ausdruck ist.

Magnus Klaue ist freier Autor, veröffentlicht regelmäßig in DIE ZEIT, Die Welt und Jungle World, und arbeitet zurzeit an einer Biographie über Max Horkheimer. Im XS-Verlag erschien zuletzt »Die Antiquiertheit des Sexus« in zwei Bänden.

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Vortrag 2

Sonntag, den 21.05.23, um 17 Uhr in der Musikkneipe Session, Gerhard-von-Are-Straße 4 in Bonn

Vortrag & Diskussion mit Thomas Maul (Berlin)

Vom Ende bürgerlicher Freiheit oder wie die Feigheit vor dem Leben den Westen begräbt. Überlegungen zur „neuen Normalität“ nach Corona

Dass wir (vorerst) wieder maskenfrei an Lebensmittel herankommen und ohne Zertifikat und/oder negativen Viren-Test in Cafés und Kneipen beisammen sein können, ist in der Tat ein Grund zum Aufatmen. Nur ist damit keineswegs der Spuk vorüber, noch hat dies etwas mit der alten Normalität, gar mit der Wiederherstellung der als nur vorübergehend suspendiert vorgestellten bürgerlichen Freiheit zu tun.

Erstens hat es ein bloßes Recht auf ungehindertes Atmen, ja sogar auf Vergnügen, die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch, von Ausnahmen (Savonarola, Islam) abgesehen, in allen möglichen Gesellschaftsformationen gegeben. Auch Hitler oder Stalin installierten in „Friedenszeiten“ kein Amüsier-Verbot. Umgekehrt macht es aus Lukaschenko noch keinen bürgerlichen Demokraten, dass die Bürger von Belarus in den letzten drei Jahren ohne Gängelung miteinander tanzen konnten. Etwas genuin Westliches liegt im „Right To Party“ (Beastie Boys) allein also mitnichten. Nicht der Unterschied zwischen dem Covid-Regime und dem NS soll damit nivelliert, sondern verdeutlicht werden, dass unter bürgerlicher Zivilisation schon einmal wesentlich mehr verstanden wurde, als keine Juden zu vernichten.

Zweitens – und das ist entscheidender – haben die Corona-Maßnahmen das bürgerliche Freiheitsverständnis bis auf Weiteres auf den Kopf gestellt. Es existieren keine Abwehrrechte des Einzelnen mehr gegen Staat und Gemeinschaft, sondern nur noch eine vom permanenten Ausnahmezustand her gedachte Lockerung von Unfreiheit – und selbst dies auch nur unter Vorbehalt einer präventiven Gefahrenabwehr, die ohne Wirklichkeitsbezug auskommt, weil Katastrophen mittels Bürgerrechtsverletzungen schließlich gebannt werden sollen, noch bevor sie sich – sinnlich wahrnehmbar bzw. positivistisch nachweisbar – abzeichnen.

Anders als einige zu Verharmlosung und Realitätsverdrängung neigende Ideologiekritiker meinen, war und ist das Covid-Regime keine bloße „Notstands-Periode mit Option auf Wiederholung“. Schon deshalb nicht, weil eine grippeähnliche Krankheit keinen „Notstand“ begründet, und ein mit Zustimmung oder auf Wunsch großer Teile des Volkes stattgehabtes beinahe dreijähriges Aussetzen von Rechtsstaatlichkeit, elementaren Freiheitsrechten und unveräußerlichen Abwehrrechten wie des Rechts auf körperliche Unversehrtheit oder des Schutzes der Privatsphäre keine „Periode“ ist. Die immerhin zugegebene „Option auf Wiederholung“ eines monströsen Staatsverbrechens (das als solches freilich nicht zugegeben wird) zeigt ja an, dass die Staatlichkeit nach dem tatsächlich epochalen Bruch – für dessen Leugnung gerne Auschwitz instrumentalisiert wird – nicht mehr dieselbe ist wie davor, da ein derartiger „Exzess der Illegalität“ jedem Begriff von Bürgerlichkeit spottet. 

Niemand setzt das Covid-Regime und den volksgemeinschaftlichen Vernichtungswunsch gegen „Ungeimpfte“ mit NS und Judenvernichtung gleich. Dass die monatewährende Apartheid zum Zwecke der Zwangsimpfung (insbesondere auf dem Gipfel, da das Ende nicht absehbar war) aber auch nicht als „Vorspiel oder gar schon der erste Akt einer Reprise des Nationalsozialismus“ bezeichnet werden dürfe, hat weniger mit dem Beharren jener Ideologiekritiker auf begrifflicher Genauigkeit zu tun als vielmehr mit dem Kleinreden des eigenen Mitmachens. Denn mag der Nationalsozialismus auch erst seit 1938 im „Behemoth-Unstaat“ (Franz Neumann) wirklich zu sich gekommen sein, so beschäftigte Ernst Fraenkel im „Doppelstaat“ noch der Umbau des bürgerlichen Rechtsstaates durch die Nationalsozialisten bis 1938. Eine Zeit, die man jedenfalls als „Vorspiel“ oder „ersten Akt“ des NS verstehen kann. Diese konzipiert Fraenkel als parallele Realität eines irgendwie noch bürgerlichen Normenstaates und eines politischen Maßnahmenstaates, wobei die ausufernden und für sich teils kurzlebigen Verordnungen des Maßnahmenstaates im Konfliktfall über den Gesetzen des Normenstaates stehen bzw. sukzessive auf den Normenstaat ausgreifen. 

Die formalen wie inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Verhältnis des Pandemie-Maßnahmen-Staates zur Doppelstaat-Phase des NS, dessen Grausamkeiten er weitestgehend unterschritt, in Einzelfragen aber auch überbieten konnte, und ihre Bedeutung für die davon kategorisch affizierte Jetztzeit wären erst noch herauszuarbeiten. Im Vortrag soll zunächst der epochale, den Westen global betreffende Bruch als solcher kritisch reflektiert und darüber nachgedacht werden, welche politischen, theoretischen und privaten Konsequenzen aus dem Übergang einer postnazistisch-bürgerlichen in eine postbürgerlich-prätotalitäre Gesellschaft zu ziehen wären.

Thomas Maul lebt als freier Autor in Berlin und war bis März 2020 Autor (seit 2007) und Redakteur (seit 2012) der ideologiekritischen Zeitschrift BAHAMAS. Seit 2019 erscheinen Gastbeiträge auf der Achse des Guten. Von ihm ist im ça ira Verlag erschienen: »Die Macht der Mullahs« (2006) und »Sex, Djihad und Despotie« (2010). Sowie u.a. im XS-Verlag: »Darum negative Dialektik« (2014) und zuletzt »Das Kapital vollenden« (2019). (https://www.thomasmaul.de)

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Vortrag 3

Sonntag, den 18.06.23, um 17 Uhr in der Musikkneipe Session, Gerhard-von-Are-Straße 4 in Bonn

Vortrag & Diskussion mit der Gruppe Thunder in Paradise (Frankfurt a.M.)

Erziehung zur Unmündigkeit. Über die Rolle der ideologischen Staatsapparate in der aktiv betreuten Konsensgesellschaft

Das Coronaregime, mit dessen Verdrängung man allenthalben beschäftigt ist, war nur möglich, weil die Einzelnen auf Konformismus geeicht sind – auch und gerade dann, wenn sie gelernt haben, sich selbst als nichtkonforme Selbstverwirklichungsabenteurer zu inszenieren. Dazu tragen die ideologischen Staatsapparate (Louis Althusser) wesentlich bei, die heute unter dem Deckmantel der Progressivität die aktive Verwaltung der systematisch Infantilisierten übernehmen. Hierunter sind nicht nur die unmittelbar staatlichen Institutionen zu fassen, sondern auch die staatsnahen Medien und aus dem Boden schießende formal unabhängige Aktivistennetzwerke, die zum Demokratieschutz aktiv ermächtigt werden, derweil sie das glatte Gegenteil bewirken.

Den in wohlfahrtsstaatlicher Hinsicht geizenden aber dafür bio- und bevölkerungspolitisch umso aktiveren Staat gilt es als primäre Organisationsinstanz in diesem Zusammenhang näher zu betrachten: Was unter dem fordistischen Produktionsregime noch gelang – die Leute mit Prosperitäts- und Sicherheitsversprechen einigermaßen bei der Stange zu halten –, ist heute, da die »Drecksarbeit« zu großen Teilen in Billiglohnländer ausgelagert ist und die alten Industrienationen immer mehr Überflüssige zu verwalten haben, weder zu leisten noch erforderlich. Unter diesen Bedingungen wächst dem Staat die Aufgabe zu, die Menschen vorsorglich in Betreuungsobjekte zu verwandeln. Als verwertbare Fähigkeit gilt hierbei mehr denn je die Bereitschaft zu einem ebenso engagierten wie leeren Mitmachertum, dem der Bezug auf den spezifischen Gegenstand des Mitmachens gleichgültig geworden ist und das deshalb besonders demagogisch und bösartig auftritt. Staatlich garantierter Erhalt der Arbeitskraft bedeutet unter diesen Bedingungen nicht bloß Lebensrettung und Gesundheitsschutz, sondern Anstiftung zum ideologischen Opportunismus.

Statt gesellschaftspolitische Kompromisse zu unterstützen, tritt der aktivierende Staat als Akteur sozialer Verunsicherung und permanenter Panikproduzent auf. Dadurch befördert er die Regression, zu der auch die Einzelnen sich selbst verpflichten: Das im dicht gespannten Netz präventionspolitischer Kontrollpraktiken eingespannte Subjekt ist aus der Perspektive der staatlichen Verwalter − dem allgegenwärtigen Autonomiegeschwätz zum Trotz − ein motivationspsychologisch zu begleitender Betreuungsfall und führt sich vermehrt auch genauso auf. Obgleich über materielle Interessen höchstens noch im Gestus des Sozialfürsorgers gesprochen wird, befeuert die Furcht vor ökonomischer Deklassierung das Buhlen um die Gunst der Apparate. In direkter Folge machen immer mehr Menschen die Sache des Staates zu ihrer eigenen oder sind gar bemüht, ihn noch eifrig zu überbieten.

Unheimlich ist, dass unter diesen Bedingungen der kurrenten Anpassung die Kritik am neuen Krisen-Kollektivismus ausbleibt. Wahlweise rufen linke Soziologen zur grünen Post-Normalität, fordern die kollektivistische Regulation privater Angelegenheiten oder insistieren darauf, dass in Zeiten der Krise der Egoismus keine Rolle spielen darf. Man redet dem falschen Allgemeinen unter Bezugnahme auf die Kritische Theorie das Wort, die nun nach drei Jahren widerspruchslos hingenommener Vortragspause wieder fleißig musealisiert oder im peinlich entpolitisierten akademischen Eventbetrieb als Studentenfutter (Joachim Bruhn) herumgereicht wird. Kein Wunder, dass Politik sich in diesem Verständnis auf die Wahrnehmung erweiterter Staatsaufgaben beschränkt. Die ganz Mutigen dienen sich den progressiven Freakszenen von Antira bis Antisex oder der urdeutschen Erweckungsbewegung für Klimaschutz an. Im Vortrag werden diese Zusammenhänge unter gesellschaftskritischer Perspektive beleuchtet.

Thunder in Paradise (TiP) ist eine ideologiekritische Gruppe aus Frankfurt am Main. (https://thunderinparadise.org/)

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Als von Parteien, Stiftungen und Hochschulgruppen unabhängige Gruppe erlauben wir uns pro Veranstaltung einen Unkostenbeitrag von 3€ zu erheben.